MII-Initiative

Medizininformatik Initiative - CORD - Implementierungsleitfaden

1 Beschreibung

Hinweis Under Construction! Language
Warning Dieser Implementation Guide stellt die aktuelle Arbeitsversion dar. English version

1.1 Einleitung

Der Implementation Guide „Rare Disease Documentation” (IG RDD) strebt an, für Patienten mit Seltenen Erkrankungen zwei medizinische Dokumentationsfelder miteinander zu verbinden:

  1. Die strukturierte klinische Versorgungsdokumentation (unabhängig von der Erkrankungsart)
  2. Die wissenschaftsorientierte Registerdokumentation für Seltene und Komplexe Erkrankungen mit einem allgemeinen Teil und einem speziellen Teil für jeweils ausgewählte Krankheitenspektren.

In der Versorgungsdokumentation gilt weitgehend, dass sie zunächst nicht krankheitsspezifisch erfolgt. Eine Differenzierung tritt allerdings bereits ein, indem für spezifische Diagnostik- und Therapieprozesse besondere Elemente in der Dokumentation ergänzt werden. Der Versorgungsteil der SE-Dokumentation unterscheidet sich in diesem Sinne nicht gezielt von der allgemeinen Dokumentation, kann aber regelhaft besondere Elemente enthalten – beispielsweise überproportional viele Exomanalysen. Ein besonderes Element ist logischerweise, dass sich unter den dokumentierten Diagnose eine Seltene Erkrankungen befindet, die nach Möglichkeit einen Orpha-Kode mitführen sollte.

Der nächste Baustein der vom IG RDD beschriebenen SE-Dokumentation ist ein gemeinsamer Datensatz – unabhängig von spezifischen Erkrankungsgruppen. Der gemeinsame Datensatz orientiert sich am ERDRI CDS, am French National Rare Diseases Minimal Data Set und am deutschen U-Heft.

Als dritte Bausteine sollen spezifische Module für Krankheitsgruppen ergänzt werden, die sich an vorhandenen Spezialdokumentation orientieren – insbesondere den Registern der spezifischen ERN.

Bei der Kombination der Dokumentationsformen möglicherweise auftretenden Widersprüche oder Spannungen sollen in einem Lernende Verbesserungsprozess konstruktiv angegangen werden. Als Dokumentationsumgebung werden große Krankenhäuser angenommen, die zum einen organisatorisch und technisch ein Datenintegrationszentrum (DIZ) nach dem Muster der Medizininformatik-Initiative betreiben und zum anderen medizinische Sonderbereiche für Seltene Erkrankungen mit A- und B-Zentren nach dem NAMSE-Konzept vorhalten.

In erster Annäherung wird vorausgesetzt, dass die regulären Versorgungsdaten in einem beliebigen Krankenhausinformationssystem erhoben werden und durch eine koordinierende Organisationseinheit (z.B. DIZ) zu einem großen Teil standardisiert im Format des MII KDS bereitgehalten werden. Daran angeschlossen werden soll eine spezielle Rare Disease Dokumentation nach dem Muster des vorliegenden IG, die zum einen mindestens unidirektional mit dem KIS verbunden ist und zum anderen mindestens für die einrichtungsübergreifende Nutzung parallel zum KIS durch das DIZ kontrolliert erschlossen wird.

Der vorliegende Implementation Guide erläutert die Dokumentation, beschreibt Nutzungsfälle und definiert die Regeln der Technischen Implementierung.


1.2 Dokumentationsziele, -kontexte und –varianten

Der vorliegende IG geht davon aus, dass im Zuge der qualifizierten Digitalisierung beziehungsweise des standardisierten digitalen Umbaus im deutschen Krankenversorgungssystem die Grenzen zwischen Versorgungsdokumentation gemäß BGB §§ 613a–f, der wissenschaftlichen Registerführung für ausgewählten Erkrankungen und teilweise auch der Dokumentation für Kontrollierte klinische Studien verschwimmen oder aktiv aufgehoben werden können. Dies wird in den Abschnitten 1.3, 1.4 und 1.5 nähert erläutert und im Abschnitt 4.1 mit Beispielen unterlegt.


1.3 Versorgungsdokumentation für Menschen mit Seltenen Erkrankungen

Inhalt, Form und IT-Systemgrundlage der allgemeinen Versorgungsdokumentation in den Universitätsklinika und in anderen Krankenhäusern weisen Übereinstimmungen und Unterschiede auf. Die Versorgungsdokumentation für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (SE-Dokumentation) unterscheidet dabei im jeweiligen Haus nicht grundsätzlich von der Dokumentation mit anderen Krankheiten.

Tatsächlich ist der kritische Punkt bisher, dass sie sich selbst bei der Diagnosekodierung mit dem führenden Kodesystem ICD-10-GM bisher nicht angemessen unterscheidet. Dieser explizite Punkt ist durch die Aufnahme der Orpha-Kodierung in den MII Kerndatensatz, den GBA-Beschluss zur Finanzierung von Zentren für Seltene Erkrankungen und durch den Bundestagsentwurf des DVPMG adressiert worden. Die Orpha-Kodierung soll ab sofort flächendeckend eingeführt werden. Auf dieser Grundlage und mit dieser Ergänzung werden im vorliegenden Implementierungsleitfaden für die SE-Dokumentation die vorhandenen Module des MII Kerndatensatzes als die Repräsentanten der Versorgungsdokumentation betrachtet. Hervorgehoben genannt werden dürfen die folgenden Module, die als allgemeine Grundlage der SE-Dokumentation vorausgesetzt werden:

  1. Modul PERSON (insbesondere FHIR-Ressource Patient)
  2. Modul FALL (dreistufige selbst-rekursive Hierarchie der FHIR-Ressource Encounter)
  3. Modul DIAGNOSE (FHIR-Ressource Condition)
  4. Modul PROZEDUR (FHIR-Ressource Procedure)
  5. Modul MEDIKATION (FHIR-Ressourcen Medication, MedicationAdministration, MedicationStatement)
  6. Modul LABOR (FHIR-Ressourcen Observation, DiagnosticReport, ServiceRequest)
  7. Modul SYMPTOM/PHÄNOTYP - Link folgt
  8. Modul OMICS (Molekulargenetischer Befund)

Die durch diese Module beschriebenen und geforderten oder vorgeschlagenen Einzelangaben je Patient können als Datenmenge betrachtet werden, die bei den einzelnen Patienten mit den im folgenden Abschnitt vorgestellten Datenmengen in Registern für Seltene Erkrankungen gewisse Schnittmengen bilden. Es wird angestrebt, eine Doppelerfassung zu vermeiden, indem Merkmale aus der Versorgungsdokumentation möglichst ergonomisch in der SE-Dokumentation zur Verfügung stehen.

Bezüglich der Merkmale, die in der Versorgungsdokumentation aber nicht in der Registerdokumentation benötigt werden, findet in der vereinigten SE-Dokumentation kein Ausschluss statt. Dies erfordert nicht zwingend eine gemeinsame Speicherung. In der Regel sollen die Daten dort verbleiben, wo sie erhoben worden sind.

VersorgRegist2

Beispiele für Einzelangaben, die in der Versorgungsdokumentation, aber nicht in der Registerdokumentation benötigt werden, können identifizierende Merkmale (Name, genaues Geburtsdatum, Administratives Geschlecht), begleitende und unabhängige weitere Diagnosen, Laborwerte, sonstige Befunde sowie begleitende und unabhängige weitere Therapien sein.

Zu beachten ist, dass es sich bei der Versorgungsdokumentation, von der an dieser Stelle die Rede ist, entsprechend der fragmentierten Gliederung des deutschen Gesundheitssystems in der Regel überwiegend um die Daten aus einem Krankenhaus handelt. Für die horizontale Ausweitung ist es Ziel der MI-Initiative, die synchrone Nutzung der Patientendaten mehrerer Universitätskliniken und weiterer Einrichtungen zu ermöglichen. Für die vertikale einschließlich der longitudinalen Ausweitung wird bei den Anwendungsfällen der Anschluss von patientenerhobenen Daten (z.B. Patienten Reported Outcomes; PROM) sowie von Elektronischen Behandlungsinformationen der Krankenkassen gemäß § 305 SGB V vorgeschlagen.


1.4 Gemeinsame Registerdatensätze für Seltene Erkrankungen

Während Versorgungsdaten so erhoben werden, wie sie zur Unterstützung der jeweils aktuellen Versorgung benötigt werden, werden Registerdatensätze im Hinblick auf mehr oder weniger definierte Auswertungen gesammelt, die auch nicht-interventionelle Registerstudien genannt werden. Der EU-Sachverständigenausschuss für seltene Krankheiten (EUCERD) hat Anfang Juni 2013 in seinen Kernempfehlungen für Patientenregister für Seltene Krankheiten und zur Datenerhebung die Wissenserweiterung über seltene Krankheiten, die Unterstützung von Grundlagenforschung, klinischer und epidemiologischer Forschung sowie für die Anwendungsbeobachtung von Orphan-Medizinprodukten und Arzneimitteln mit zulassungsüberschreitender Anwendung genannt. Den Menschen mit seltenen Krankheiten sowie den zuständigen nationalen Behörden sollen Register wesentlich für die Unterstützung der Planung von Gesundheitsversorgung und sozialen Dienstleistungen dienen. Registerstudien werden auch genutzt, um neue wissenschaftliche Hypothesen für nachfolgende klinische Prüfungen zu generieren.

Je differenzierter die digitale Dokumentation im Versorgungskontext erfolgt und je mehr betroffene Populationen abgedeckt sind, desto mehr können die Real-World-Data für Äquivalente von Registerstudien herangezogen werden. Es können jedoch nicht alle Fragestellungen aus nativen Versorgungsdaten beantwortet werden. Das Spektrum kann aber durch die Erhebung ausgewählter Standardmerkmale erweitert werden. Hierfür werden die folgenden Datenmuster und Datensammlungen vorgeschlagen:

  • Common Dataset der European Rare Disease Registry Infrastructure (ERDRI CDS)
  • French National Rare Disease Minimum Dataset (French RD MDS)
  • U-Heft der Kinder- und Jugendlichen-Vorsorgeuntersuchungen

Sofern die Erhebung der Merkmale noch nicht im Rahmen der Versorgungsdokumentation erfolgt ist, treten durch ERDRI CDS (e) und French RD MDS (f) folgenden Datengruppen hinzu:

Nr. Datengruppe / Item Group e f
1 Consent f
2 Patient Identification f
2a Pseudonym e
3 Administrative Information (Personal or Parent) f
4 Family Information f
5 Vital Status e f
6 Care pathway (multiple) f
7 Care activities (multiple) f
8 Disease history f
9 Diagnosis e f
9a Signs & Symptoms e f
9b Disability e f
9c Genetic diagnosis e f
9d Undiagnosed Case e f
10 Diagnosis confirmation f
11 Treatment f
12 Ante and neonatal f
13 Research e f
13a Biobank e f

Sofern die Erhebung der Merkmale noch nicht im Rahmen der Versorgungsdokumentation oder durch Ergänzung von EDRI CDS oder French RD MDS-Angaben erfolgt ist, treten durch das digitale U-Heft folgenden Datengruppen hinzu:

Nr. U Datengruppe
1 U1 Die Erstuntersuchung mit Bestimmung von Größe, Gewicht, Apgar-Score und Nabel-pH sowie Untersuchung auf Fehlbildun-gen (und andere neugeborene spezifische Befunde z.B. Gelbsucht, Ödeme, Traumata) wenn möglich als HPO-Begriffe einge-geben.
2 U2 Die Vorsorgeuntersuchung findet am 3.-10. Lebenstag statt. Angeborene Erkrankungen und Fehlbildungen (z. B. des Herzens) sollen durch die U2 erkannt werden. Auch das Erkennen einer behandlungsbedürftigen Gelbsucht gehören zu der Vorsorgeuntersuchung. *
3 U3 Die Vorsorgeuntersuchung findet in der 4.-5. Lebenswoche statt. Das Erkennen von Entwicklungsauffälligkeiten gehört zu den Zielen der U3 - dabei wird bspw. darauf geachtet, ob das Baby in Bauchlage den Kopf halten kann oder die Hände spontan öffnet. Um Fehlstellungen zu erkennen, werden mit Ultraschall die Hüftgelenke des Babys überprüft. *
4 U4 Die Vorsorgeuntersuchung findet im 3.-4. Lebensmonat statt. Das Überprüfen der altersgerechten körperlichen und geistigen Entwicklung stehen im Vordergrund. Auch das Hören und Sehen werden überprüft. Spätestens bei der U4 sollten erste Impfungen erfolgen. *
5 U5 Die Vorsorgeuntersuchung findet im 6.-7. Lebensmonat statt. Ein Ziel der U5 ist es, auf Hinweise auf Entwicklungsverzögerungen oder -risiken zu achten. Es werden Sehtests durchgeführt und die Beweglichkeit des Babys wird beobachtet. *
6 U6 Die Vorsorgeuntersuchung findet im 10.-12. Lebensmonat statt. Auch bei der U6 wird auf Entwicklungsauffälligkeiten geachtet. Zum Erkennen von Sehstörungen werden Untersuchungen der Augen durchgeführt und es wird geprüft, wie sehr das Kind seinen eigenen Körper beherrscht. *
7 U7 Die Vorsorgeuntersuchung findet im 21.-24. Lebensmonat statt. Erneut stehen Entwicklungsauffälligkeiten im Vordergrund der Untersuchung. Es wird überprüft, ob das Kind einfache Wörter und Sätze versteht. *
7.2 U7a Die Vorsorgeuntersuchung findet im 34.-36. Lebensmonat statt. Zusätzlich zu den Untersuchungen wie bei der U7 wird bei der U7a die Beschaffenheit der Zähne und die Entwicklung des Kiefers untersucht. Es wird auch auf die sprachliche Entwicklung des Kindes geachtet. *
8 U8 Die Vorsorgeuntersuchung findet im 46.-48. Lebensmonat statt. Neben erneuten Untersuchungen auf Entwicklungsauffälligkeiten, wird die Beweglichkeit und das Geschick des Kindes getestet. Es wird darauf geachtet, ob das Kind sich alleine beschäftigen kann und wie gut es spricht. *
9 U9 Die Vorsorgeuntersuchung findet im 60.-64. Lebensmonat statt. Zusätzlich zu den Untersuchungen auf Entwicklungsauffälligkeiten, achtet der Arzt oder die Ärztin auf Ängste oder Interessen des Kindes, da es bald eingeschlut wird. *
*Altersspezifische Befunde sind nach Organen/ organischen Systemen gruppiert und wenn möglich als HPO-Begriffe anzugeben - 1. Haut; 2. Lunge, Thorax, Atemwege, 3. Abdomen, Genitale; 4. Herz, Kreislauf; 5.Ohren; 6. Bewegungsapparat; 7. Kopf; 8. Mundhöhle, Kiefer, Nase; 9. Augen

1.5 Modulare Ergänzungskomponenten

Darüber hinaus sollen differenziertere Merkmale für spezielle Dokumentationsziele (z.B. für ausgewählte Krankheiten oder Krankheitsgruppen) ergänzt werden. Insbesondere sollen die jeweils zum ERDRI CDS komplementären Dokumentationselemente der ERN-Register als spezifische Module ergänzt werden können. Also beispielsweise Module für Seltene Neurologische Erkrankungen (=> ERN RND), Neuromuskuläre Erkrankungen (=> ERN RND) oder Seltene Lungenerkrankungen (ERN LUNG).

Des Weiteren kann geprüft werden, ob Daten für kontrollierte Klinische Studien integriert erhoben werden sollen.